Eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit zwischen Eltern mit Migrationshintergrund und der Schule

Diese Absichtserklärung wird von vielen Ratsmitgliedern mit Migrationshintergrund sowie Organisationen und Fachpersonen unterstützt. Schulen, Migranten- und Elternorganisationen werden gesucht, die mitmachen möchten. Kontakt.

Die Absichtserklärung basiert auf wissenschaftliche Erkenntnisse sowie Schweizer und internationale Abkommen über Bildung für fremdsprachige Kinder. Diese werden in den Endnoten zur Absichtserklärung erläutert.

Käthi Furrer, Schulleiterin der Primarschule Dachsen, erklärt, dass ihre Schule gute Erfahrungen mit einer Absichtserklärung zwischen Eltern und Schule macht und ermutigt andere Schule mit Gewählte Stimme zusammenzuarbeiten

Einführung

Chancengleichheit, Gerechtigkeit, Integration und Schulerfolg: Eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit zwischen Eltern mit Migrationshintergrund und der Schule

Kinder mit Migrationshintergrund sowie sozialbenachteiligte Kinder sind in den tieferen Bildungsgängen übervertreten. Warum?

Manchmal wird der Grund dafür bei den Migranteneltern gesucht, manchmal bei der Schule. Gründe dafür sind vielfältig und hängen von verschiedenen Faktoren ab. Sie ausschliesslich auf die Familie oder die Schule zu reduzieren, würde den oft schwierigen Situationen, in denen sich sozial benachteiligte Familien insbesondere mit Migrationshintergrund befinden, nicht gerecht werden und wäre auch nicht gerechtfertigt.

Fakt ist, dass verschiedene Forschungsergebnisse (u.a. die PISA-Studien) aufzeigen, dass der Bildungserfolg von den Schulkindern in der Schweiz stark von ihrem sozialen Status und ihrer Herkunft abhängt. Deswegen entstand diese Initiative von „Stimme der gewählten MigrantInnen für alle“, einem Zusammenschluss von Ratsmitgliedern mit Migrationshintergrund auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene sowie weiteren Partnerorganisationen (siehe Liste unten). Mit dieser Absichtserklärung wird ein Förderinstrument entwickelt, das eine Verbesserung für den gerechten Zugang aller Kinder zu Bildung und Beruf unterstützt. Die vorliegende Absichtserklärung zur Zusammenarbeit soll als Mustervorlage den Dialog und das gegenseitige Engagement zwischen Schule und Migranteneltern stärken, mit dem Ziel, strukturelle sowie individuelle Lösungsvorschläge zu entwickeln und umzusetzen.

Alle Eltern – unabhängig von der Herkunft – haben die gleichen gesetzlichen Pflichten und Verantwortlichkeiten für die Zusammenarbeit mit der Schule. Elternhaus und Schule möchten sich zusammen für die Integration und den Schulerfolg aller Kinder engagieren, damit das Potenzial der Kinder besser realisiert wird. Wir suchen eine positive, lösungsorientierte Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern, um Chancengleichheit und Gerechtigkeit zu verwirklichen. Wir sind überzeugt, dass Schule und Familie diese Ziele nur zusammen erreichen können.

Schule und Elternhaus haben gemeinsame Ziele. Fehlende Ressourcen und sonstige Belastung machen es schwer für Eltern sowie Lehrpersonen – trotz guter Absichten – den nötigen Einsatz vollständig zu erbringen. Eine Klärung der Verantwortungsbereiche fördert die wirksame Zusammenarbeit und setze Ressourcen frei. Eine Klärung der Verantwortungsbereiche fördert eine wirksame Zusammenarbeit. In der untenstehenden Absichtserklärung wird zuerst die Rolle der Schule (Schulbehörden, Lehrpersonen), dann diejenige der Eltern kurz geschildert.

Absichtserklärung – Rolle der Schule

Die Verantwortung der kooperierenden Schulen, Schulbehörden sowie Politik ist es, die folgenden Ziele aktiv anzustreben. Die Schule verpflichtet sich, grundsätzlich den Schulerfolg von Migrantenkindern zu erhöhen. Die unten aufgeführten Leitsätze beschreiben, wie die Schule das erreichen kann:

Chancengleichheit

Alle Kinder – unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer sozialen Schicht oder Religion – werden in der Schule individuell und gerecht gefördert, damit sie sich in der Schule entfalten und Erfolg haben können.

Für alle zugängliche Frühförderung

Alle Kinder sollen die Chance haben, sich vor dem Kindergarteneintritt auf spielerische Art sprachlich, motorisch, kognitiv und sozial zu entwickeln. Frühförderungsangebote ergänzen und stärken das Lernen in der Familie. (Dafür ist je nach Zuständigkeiten die Zusammenarbeit mit anderen Behörden erforderlich.)

Geeignete, verständliche Informationen Beratung und Partizipation Die Schule bzw. die Lehrperson bietet den Eltern (Erziehungsberechtigten) Beratung über ihre Kinder und aktuelle Lernmethoden. Insbesondere für Eltern, die selber die Schule nicht in der Schweiz besuchten, wird die Elternbeteiligung gezielt gefördert und Informationen über das Schulsystem vom Kindergarteneintritt bis zu Lehrstellensuche bzw. gymnasialer Zugangsprüfung mittels DVD, Veranstaltungen usw. mehrsprachig angeboten. Durch eine Förderung der Mitsprache und Partizipation aller Eltern, können die Schule und die Schulpolitik die Bedürfnisse aller Kinder besser reflektieren.

Gleichwertige Lernunterstützungen für alle Kinder lernen nicht nur im Unterricht, sondern auch durch die Repetition und die Hausaufgaben. Dazu benötigen sie einerseits eine geeignete ruhige Lernumgebung und andererseits (gemäss der gelebten Praxis) die begleitende Unterstützung und Kontrolle durch die Eltern. Diese Lernvoraussetzungen sind je nach Wohnsituation und Bildungsweg der Eltern sehr unterschiedlich. Diese erhebliche Benachteiligung soll durch die Schule mittels geeigneten Lernräumen und Hausaufgabenbegleitung soweit möglich ausgeglichen werden.

Förderung von interkulturellen Kompetenzen für Lehrpersonen und SchülerInnen Die Schule engagiert sich dafür, das Zusammenleben und die Zusammenarbeit in der multikulturellen Schule optimal zu gestalten. Durch einen geförderten Kulturaustausch in der Schule lernen die Kinder über einander.

Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit Bei der Entwicklung des Lehrplans, im Unterricht (inklusiv Sprachförderung, HSK-Unterricht), im Stützangebot, bei der Selektion, bei der Schulevaluation und ganz allgemein im Schulsystem soll auf die sprachliche Vielfalt geachtet werden. Dies gilt auch bei der Einschätzung der Leistungen und des Potenzials: Wer in der Schule nicht in der eigenen Erstsprache lernt, zeigt bei gleicher Leistung mehr Potenzial als jemand, dessen Erstsprache die Bildungssprache ist, und verdient dafür eine geeignete Anerkennung beispielsweise bei Übertrittentscheidungen.

Mehr Lehrpersonen und Mitarbeitende mit Migrationshintergrund Oftmals sind in unseren Schulen (fast) alle Lehrpersonen Schweizer Herkunft. Daher fehlt eine gewisse Vorbildwirkung bzw. Vertrauensbildung für Migrantenkinder und ihre Familien, die eine Person mit Migrationshintergrund bringen kann. Mitarbeitende mit Migrationshintergrund bzw. interkulturelle Vermittler/innen sind nötig, bis mehr Lehrpersonen mit Migrationshintergrund angestellt werden können.

Eine durchlässige Oberstufe Wissenschaftliche Analysen zeigen, dass Chancengleichheit gefördert wird, wenn die Selektion eliminiert wird. Solange eine Selektion aber stattfindet, soll diese so spät wie möglich stattfinden und die Oberstufe durchlässig strukturiert sein. Durch regelmässige Umstufungen bleibt die Chance bestehen, sich zu verbessern. Selektionsentscheidungen sollen nicht bedeuten, dass alle Türen auf Dauer verschlossen sind. Die Schule entwickelt in Zusammenarbeit mit den Eltern wirksame Lösungen, um die Förderung der Schulkinder in eine anspruchsvollere Sekundarschule bzw. ins Gymnasium zu erreichen.

Wirksame Unterstützung bei der Lehrstellensuche Es fehlen genügende angemessene Ausbildungsplätze für alle lernbereiten Jugendlichen. Bei Knappheit sind es oft Jugendliche mit Migrationshintergrund, die keine Lehrstelle finden können. Die Schule unterstützt diese Jugendlichen gezielt bei der oft frustrierenden Lehrstellensuche.

Absichtserklärung – Rolle der Eltern

Die Verantwortung der Migranteneltern (wie aller anderen Eltern und Erziehungsberechtigen auch) ist es, die folgenden Ziele aktiv anzustreben. Die Eltern verpflichten sich, sich grundsätzlich für den Schulerfolg ihrer Kinder einzusetzen. Die unten aufgeführten Leitsätze beschreiben, wie sie das erreichen können:

Förderliche Lernbedingungen Die Eltern sorgen dafür, dass ihre Kinder genügend Zeit und einen geeigneten, ruhigen Ort haben, an dem sie lernen und ihre Hausaufgaben machen können.

Engagement für die Schule Die Eltern engagieren sich dafür, dass ihre Kinder die Schulregeln einzuhalten und Spass daran entwickeln, regelmässig zu lernen.

Genügend Schlaf Die Eltern setzen sich dafür ein, dass ihre Kinder jeden Tag für die Schule vorbereitet und ausgeruht erscheinen.

Ausserschulisches Lernen, gesunde Ernährung und soziale Entwicklung fördern Die Eltern fördern die Entfaltung des Kindes: durch Puzzles, Basteln, Hobbys, Ausflüge in die Natur, in den Zoo oder in Museen; durch gemeinsame Eltern-Kind-Aktivitäten (auch in der Herkunftssprache) wie Geschichten vorlesen, Gespräche führen. Die Eltern informieren sich über soziales Lernen (z.B. Benehmen, Umgang mit Konflikten) und Gesundheitsförderung (z.B. Zahnhygiene, Ernährung) und setzen sich dafür ein. Die Kinder sollen neben der Schule Vieles durch die Teilnahme an altersgerechten, gesunden Freizeitaktivitäten lernen und dadurch gefördert werden.

Kenntnisse des Schweizer Bildungssystems Die Eltern informieren sich über das Schweizer Bildungssystem, um sich für den Schulerfolg einzusetzen.

Spracherwerb Die Kinder lernen früh ihre Herkunftssprache sowie die lokale Landessprache (falls angebracht mit Nachhilfe). Auch die Eltern bemühen sich, die lokale Landessprache zur Unterstützung der schulischen Zusammenarbeit zu lernen.

Teilnahme an Elternanlässen Die Eltern nehmen an schulischen Anlässen (z.B. Elternabenden, Elterngesprächen, Elternorganisationen) teil – insofern nötig mit interkultureller Vermittlung zur Förderung der Verständigung und Zusammenarbeit – und pflegen einen Informationsaustausch mit den Lehrpersonen.

Unterzeichnende (Stand 16.11.10): Ricardo Lumengo, alt Nationalrat, Antonio Hodgers, Nationalrat, Mustafa Atici, Grossrat Basel Stadt, Rithy Chheng, Stadtrat Bern, Salvatore Di Concilio, Gemeinderat Zürich, Ylfete Fanaj, Grossstadträtin Luzern, Alice Heijman, Grossstadträtin Luzern, Lilliam Jennifer Maldonado, alt Einwohnerrätin Gemeinde Kriens, Bülent Pekerman, alt Grossrat Basel Stadt, Ivica Petrusic, alt Einwohnerrat Aarau, alt Grossrat Aargau, Halua Pinto de Magalhães, Stadtrat Bern, Rupan Sivaganesan, Kantonsrat und Gemeinderat Zug, Lathan Suntharalingam, alt Grossrat und Grossstadtrat Luzern, Fatma Tekol, ehem. Kantonsrätin Solothurn und Gemeinderätin Biberist, Atilla Toptas, Grossrat Basel Stadt, Mehmet Turan, Grossrat und Bürgergemeinderat Basel Stadt.

Unterstützende Organisationen ARGE Integration Ostschweiz Ausländerbeirat der Stadt Zürich bildungsmotor.ch Fachstelle Elternmitwirkung Integrationsnetz Zug KAAZ, kantonale Arbeitsgemeinschaft für Ausländerfragen Zürich «Migrantenförderprojekt ChagALL (unterstrass.edu)» NCBI Schweiz Netzwerk Bildung und Migration, Aargau schooling, Zug Verein Katamaran

Statement LCH Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer „Der Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer LCH begrüsst die Idee, aus dem Kreis der Migrantinnen und Migranten heraus die Eltern von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund  zu einer aktiven Mitwirkung am schulischen Gedeihen ihrer Kinder zu ermutigen und anzuleiten. Der LCH wünscht der Aktion “Gewählte Stimme” viel Erfolg. Die Lehrerschaft wird ihren Teil am Gelingen dieser anspruchsvollen Zusammenarbeit zu leisten versuchen.“

Markus Truniger, Leiter des Programms „Qualität in multikulturellen Schulen (QUIMS)“, Bildungsdirektion Kt. Zürich „In unserer multikulturell gemischten Bevölkerung ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern nicht immer selbstverständlich. Sie ist aber von grosser Wichtigkeit, damit die Kinder in der Schule gut vorankommen. Deshalb ist die Initiative einer Absichtserklärung der ‚Gewählten Stimme‘ zu begrüssen. Damit können sowohl Akteure der Schule wie auch Eltern zeigen, dass sie nicht nur bereit zum Gespräch sind, sondern auch zur Mitverantwortung in der Zusammenarbeit. Das ist eine wichtige Voraussetzung für eine gute Schule. „

Andrea Lanfranchi, Prof. Dr., Leitung Forschungsschwerpunkt: “Kleinkinder, Kinder und Jugendliche mit besonderen Bildungsbedürfnissen”, Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik “Was wir heute brauchen ist nicht Elternarbeit im Sinne von Rüben aushöhlen beim ‘Räbeliechtli’, sondern Erziehungs- und Bildungspartnerschaften. Das ist zwar schneller gesagt als getan. Neuste Studien über Bedingungen des Schulerfolgs zeigen uns jedenfalls, dass die Zusammenarbeit mit Eltern integraler Bestandteil von Schulen werden muss.”

Käthi Furrer, Schulleiterin der Primarschule Dachsen: „Unsere Schule hat vor einigen Monaten eine Bildungs- und Erziehungsvereinbarung herausgegeben, an welcher Schulbehörden, Lehrpersonen, Schulkinder und Eltern mitgearbeitet haben. Davon erhoffen wir uns eine noch bessere und engere Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Die Absichtserklärung der ‚Gewählten Stimme‘ zeigt auf, dass es darüber hinaus noch besondere Anstrengungen braucht, Migrantenkinder und -eltern den Weg zu besseren Chancen in der Schule zu ebnen. Echte Integration kann nur über echte Teilhabe gelingen, Teilhabe an allen Rechten und Pflichten. Wir unterstützen die Grundsätze der Absichtserklärung und wünschen der ‚Gewählten Stimme‘ Erfolg und viele positive Echos.“

Helene Schär, Präsidentin: Verein Bücher ohne Grenzen Schweiz VBOGS „Der Verein Bücher ohne Grenzen Schweiz VBOGS – Association Livres sans Frontières Suisse ALSFS, Dachverein aller interkultureller Bibliotheken der Schweiz unterstützt und begrüsst diese Absichtserklärung und ist bereit, sich bei der Ausformulierung von Aktionen im Rahmen seiner Möglichkeiten zu beteiligen. Der Dachverein Bücher ohne Grenzen Schweiz VBOGS vernetzt die interkulturellen Bibliotheken, die Bücher und andere Medien in den Sprachen der ausländischen und fremdsprachigen Bevölkerung anbieten. In Veranstaltungen und Animationen bemühen sie sich um die Förderung und Pflege der Erstsprache und der damit einhergehenden Kultur. Dadurch wird dieser Bevölkerungsteil ernstgenommen. Das Klima des Willkommens, des Verständnisses, der Toleranz und des Respekts in diesen Bibliotheken baut Brücken zur hiesigen Kultur und Sprache und fördert die Integration. Die Mehrzahl der Mitarbeitenden in den interkulturellen Bibliotheken – MigrantInnen und SchweizerInnen – engagieren sich ehrenamtlich.“

Medien

elternmitwirkung.ch: Chancengleichheit, Gerechtigkeit, Integration und Schulerfolg hier

Parlamentarier mit Migrationshintergrund vernetzen sich Papier für mehr Schulerfolg von Migrantenkindern vorgestellt hier (pdf)

Basler SP schlägt gegenüber Ausländern freundlichen Ton an.. 1 , 2 (pdf)

Der Zusammenschluss „gewählte Stimme“ fordert: Mehr Chancen für sozial benachteiligte Kinder an Schweizer Schulen rabe.ch

«Gewählte Stimme» fördert Kontakt zwischen Schule und Migrations-Eltern hier

Vorstösse
Der Regierungsrat wird gebeten zu prüfen, ob und wie Schulleitungen und Eltern-organisationen bei der Entwicklung und Umsetzung von Absichtserklärungen zwischen Schule und Elternhaus unterstützt werden können. Postulat Ivica Petrusic, SP, Aarau

Anzug betr. Absichtserklärung zur Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern Anzug Mustafa Atici

Weitere Informationen
Rupan Sivaganesan rupan.sivaganesan(at)gewählte-stimme.ch, 079 911 22 22
Ron Halbright ron.halbright(at)gewählte-stimme.ch, 076 490 10 50